Seoul, Korea Rep.
Am späten Abend lande ich in Incheon. Es dauert lange, bis meine Tasche auf dem Gepäckband auftaucht – sie ist völlig eingedreckt, ein letzter Abschiedsgruß vom großen Nachbarland?
Es wollen sich im Ankunftsbereich zwei „Taxifahrer“ an mich hereinmachen, aber mein No! rutscht mir recht giftig heraus, da zischen sie wieder ab. Wie ich schon schrieb: Zivilisationstechnisch ging meine Lernkurve in Richtung Keuleschwingender Urzeitmensch. Ich bin gespannt, wie hierzulande der Umgang miteinander ist.
Ein ATM macht mich liquide und ich finde problemlos die Bushaltestelle vor der Tür. An einem Ticketschalter bekomme ich mein Ticket für 9000 koreanische Won (6Euro) und sitze eine Stunde nach Landung im Bus. Es regnet recht heftig. Etwas mehr als eine Stunde dauert die Fahrt bis zur SinseolDongstation. Ich will der weiteren Wegbeschreibung folgen, überquere die Straße und stehe dann Zwanzig nach Elf orientierungslos im Regen – irgendetwas stimmt hier nicht. Ein Betrunkener will mich begleiten, wohin? und rät mir dann ein Taxi zu nehmen. An einer Herberge frage ich, aber man versteht mich nicht, oder will mir eine Unterkunft im eigenen Gasthaus andienen, dann kommen noch zwei Passanten, keiner kann mit meiner Adresse und Beschreibung etwas anfangen, der Dritte zückt sein Handy und ruft für mich in der Herberge an und nach ein paar Minuten geht es doch weiter: Ich hätte das andere Links als Links nehmen sollen! Ist doch ganz klar!?? Ich befand mich keine Dreißig Meter vom Eingang der Hostels entfernt…
Eine schmale, steile Stiege geht es in den vierten Stock mit Sack und Pack hinauf und ich erreiche mein ziemlich übersichtliches Domizil hier in der Stadt. Klein, aber macht einen sauberen Eindruck. Das WLAN ist allerdings ziemlich frickelig, nur mit einigen Anläufen bekomme ich den Anfang dieses Berichtes hochgeladen. Wettermäßig bin ich in ein mehrtägiges Regenloch geflogen. Die Sonne lässt sich nicht blicken, die Temperaturen liegen bei 15 bis 20 Grad. Zum Glück gab es mehr oder weniger lange trockene Pausen zwischen den Phasen feinen Nieselregens, dass ich meinen Regenschirm den ganzen Tag über nicht herausholen musste. Mein erster Ausflug ins koreanische Alltagsleben führte mich nach Yongsan Station, um dort meine Online reservierten Bahnfahrkarten abzuholen. Wie ich dort beim Studium meines Wählknochens feststelle, habe ich darin keineswegs die Reservierungsnummern abgespeichert. Nebenbei bemerkt verlangt der Kartenautomat auch ein Passwort für den Zugriff. Passwort?
Wenn ich schon einmal da bin, und sowieso an einen Schalter muss, dann kann ich es auch gleich versuchen. Gedacht getan, die junge Frau hinter dem Tresen versteht kein, oder nur wenigst Englisch, und nachdem ich gesagt habe, I have a reservation, but cannot retrieve my reservation number, steht sie wortlos auf und geht in den hinteren Berich. Ups? Nachfragen? Es dauert lange, und ich fühle mich langsam an das Serviceverständnis an Bahnticketschaltern in China erinnert…
Sie kommt nach ein paar Minuten jedoch zurück und geleitet mich an einen Informationsschalter. Die Frau dort spricht auch nicht wirklich Englisch und die Tatsache, dass ich ihr meinen Personalausweis für den Namen reiche, ihr aber die Reisepassnummer nenne, unter der ich die Reservierung tätigte, sind zuviel: Sie steht auf, geht an einen Schaltkasten und die Panzerglasscheibe des Schalters fährt knarrend, krächzend und knallend nach oben. Ich trete einen Schritt zurück, da ich befürchte, das schwere Ding fällt mir jeden Augenblick auf die Füße.
Dann dreht die gute Frau ihren Monitor zu mir hin und fummelt Tastatur und Maus zu mir herüber, damit ich die Reservierungsseite in Enlgisch anwählen und meinen Namen und Passnummer eingeben kann. Et voila: meine Reservierungsnummern tauchen auf und kurz darauf halte ich meine Tickets in Händen und weiß nun auch, von welchem Bahnhof der KTX Schnellzug abfährt.
Sehr hilfsbereit, obwohl ich ganz schön viele Umstände mit den Tickets gemacht habe. Ich hoffe die Scheibe lässt sich wieder herunterfahren… Organisatorisch ist Yongsanstation allerdings ein schwarzes Loch: Ich weiß, dass ich Metrolinie 1 in Richtung Daewhu nehmen will, aber sin*****weise gibt man nur Tracks 3,5 und 6 an, aber nicht welche Metrolinien wo fahren… Auch nicht am Bahnsteig. Ein guter Orientierungssinn hilft: ich kam mit der Linie 1, offensichtlich bedeutet hier Bahnsteig6=Linie1, und es kommt ein Zug und innen stelle ich erleichtert fest, es ist Linie1 in die korrekte Richtung. Yongsan ist wohl auch das Elektronikshoppingparadies Koreas schlechthin – ich bin zwar kurz in eine riesige Mall mit Hunderten kleiner eigenständiger Geschäfte gegangen, aber ohne konkretes Kaufbedürfnis und erkennbare Preisangaben gingen mir die vielen konkurrienden und auf mich einredenden Verkäufer auf den Zwirn. Ich verlasse die Metro Linie 3 am Palast, und besuche dort während einer Regenphase das Palastmuseum (Eintritt frei) und dann den Palast für 3000 Won, etwa zwei Euro. Alles fein restauriert, aber leblos erscheinend, fast wie in der verbotenen Stadt. Auch das anschließend Folkoremuseum ist kostenlos. Vor der Tür werden Schwerttänze zu lautstarker koreanischer Rockmusik aufgeführt. Anschließend gilt es etwas zu Essen, ich wähle ein kleines Straßenrestaurant aus, das einen guten Eindruck macht und bestelle mir Schwein mit Gimchi und Käse. Das Essen macht noch einen besseren Eindruck, für kanpp über fünf Euro bekomme ich eine Art koreanisches Cordon bleu. Generell fühle ich mich hier in Seoul wie in einer anderen Welt. Es gibt mehr Verkehr als in Peking, aber es wird kaum gehupt. Die Ampeln erfüllen einen Zweck, es macht Sinn an einer Fußgängerampel auf Grün zu warten, denn es erscheint tatsächlich nach gewisser Zeit und wenn Fußgänger die Straße überkehren, fährt hierzulande kein Autofahrer dazwischen. Schwächere Verkehrsteilnehmer werden definitiv berücksichtigt.
Ich sehe mehr Straßenpolizei auf den Straßen. Beamte die NICHT gleichgültig in der Gegend herumstehen. Beamte, die den Eindruck machen, man könnte sich bei Problemen an sie wenden.
Den Eindruck hatte ich in China nirgens, vielleicht mit Ausnahme von Qingdao. Es erschien immer ratsam, dem verlängerten Arm der Obrigkeit möglichst aus dem Weg zu gehen, vor allem wenn man erlebt, wie uninteressiert und willkürlich sie dort im Alltag auftreten.
Auf den Palastgeländen wird man freundlich begrüsst, und wenn man einen Innenhof betritt, in dem sich ein Wächter/Wächterin zeitweise hingesetzt haben, so stehen diese tatsächlich auf! Dermaßen viele höfliche Gesten an einem einzigen Tag, wie in Monaten in China – das beeindruckt. Meine ersten öffentlichen Toiletten waren sauber und hochgezogenen und umherfliegenden Rotz habe ich auch noch nicht bemerkt. Nach zwei weiteren Palastbesuchen und einem Streifzug durch die Touristensouvenirstraße besorge ich mir an einem Stand noch ein Sortiment koreanischer Baozis, insbesondere die mit scharf gewürztem Kohl gefüllten Versionen schmecken gut. Es gibt hier dermaßen viele Kaffeebars und Futterbuden, dass man Monate mit Essen und Trinken verbringen könnte, aber morgen ist ja auch noch ein Tag, wenngleich Montags die meisten Sehenswürdigkeiten leider geschlossen sind. Die gestrigen Regenpausen hat das Wetter am heutigen Montag wieder wett gemacht: feiner Dauerregen. Und alle Museen geschlossen, da hilft nur etwas speisen gehen (schweißtreibend), in einem Bohnendosen Cafe den Caramel Macchiato probieren (sehr gut) und die Shoppingareale untersuchen.
Unter anderem wr ich nochmals an der Yongsan-Station. Man hat den Ausgang zu den anderen Elektromalls so geschickt gelegt, dass man ihn bereits als versteckt bezeichnen kann. Tip: nicht geradeaus in die Mall, sondern rechts vor die (Glas-)Wand, wieder rechts und nach ca. 100m links in den Übergang.
Es gibt dort wirklich nicht nur die Neunstöckige Mall direkt an der Station sondern Dutzende Malls mit Tausenden Geschäften. Von Überwachungskameras, sämtlichen Computerbauteilen und -zubehör, Spielen über etc bis etc.
Das Sammler und Bastlerherz wird beim Schlendern durch unzählige kleine Frickelläden und Flohmärkten höher schlagen.
Den Weg zurück zur Yongsanstation findet man am besten, wenn man einem großen stetigen Menschenstrom (vor allem Frauen) folgt, der in ein unscheinbares Elektroshoppinggebäude strebt. Sooo viele Frauen können einfach nicht an Computerkram interessiert sein, denke ich mir, und siehe da: in der dritten Etage gibt es einen ziemlich langen Übergang direkt in die Station.
Ups, soeben ist mir meine Übernachtung nach meiner Rückkehr aus Gyuengju abhanden gekommen: Mr. Sea stellt fest, dass er zum gebuchten und angezahlten Zeitraum eine Klimaanlage einbauen lassen will. Mir wird stattdessen die Gratisunterkunft im Schlafsaal angeboten. Nö, Siebenbettzimmer muss nicht sein…