Gestrandet auf die noble Art

Nha Trang, Vietnam

Der Taxifahrer der mich morgens von Bui Vien zum Bahnhof fuhr, rundete großzügig zu seinen Gunsten von 45.500 auf 50.000 Dong auf. Dreist, aber ich hatte keine Lust auf eine Diskussion.
Beim Betreten des Bahnsteiges wird meine Karte ordnungsgemäß gelocht. Der Zug ist recht lang, mein Abteil liegt gamz am Ende des Bahnsteiges. Die Superexpress-Züge sollen neuer sein, als die TN Versionen – vor allem beim Betreten des Abteils stelle ich fest, dass ich ohne Not sicher nicht mit einem noch älteren Wagen unterwegs sein möchte.
Der Nachteil eines in die Jahre gekommenen Softseats ist es, füllungstechnisch kollabiert, dafür geruchstechnisch ausgereift zu sein. Ich suche meinen Sitz, 61, 62, 3, 4, 5, 6… Sitz Nummer Zwei (meiner) ist nicht dort, wo ich ihn erwartet hätte. Vielleicht hatte man kein Schild mit der Nummer Zwei und hat deswegen erhöht? Aber wie im Zug in Thailand erlebt, ist es ärgerlich, dass gerade dann, wenn man es sich bequem gemacht hat, womöglich nach Stunden, der Karteninhaber dr 62 auftaucht und seinen Sitzplatz verlangt. Also am anderen Ende des Abteiles schauen, tatsächlich: 64, 63, 2, 1. (Ich muss während einer der nächsten Fahrten überprüfen, ob hinter der Nummerierung ein System hintersteckt) Auf Sitz Zwo macht sich gerade eine junge Frau breit, ein Schaffner will ihr adjutieren, ist verwirrt, aber dann ist der Platz meiner, leider entgegen der Fahrtrichtung. Immerhin ist an diesem Wageende noch Platz für mein Gepäck und die Fenster sind so schmierig, das Herausschauen während der Fahrt recht anstrengend ist.
Die schlabberigen Sitze liegen beinahe aufeinander wie umgefallene Dominosteine. In Kombination mit einer feststehenden Getränkeablage an der Rückenlehne eine wahre Amputationsmaschine. Der Sitz bleibt jedoch während der Fahrt frei und es kommt zu keinen Verstümmelungen. BESTIMMT wurde Sitz Nummer Eins im Computersystem als defekt und unbenutzbar markiert und von der weiteren Buchung ausgeschlossen, ha! Die Klimaanlage wird wie zu befürchten war, an der Grenze zur Körperverletzung betrieben, gleiches gilt für das kakophonische Bordentertainment “RailTV” in Kombination mit vietnamnesischer Schnulzenmusik. Lange Hose, Socken, Jacke und Ohrenstöpsel sind unentbehrlich, eine Jeans, oder sogar Skihose zum Erreichen der Komforttemperatur nötig.
Erst zum Sonnenuntergang, als der Zug die Küste erreicht, ist der Ausblick interessant, einen Moment wünsche ich mir, dass die Kulisse und die Lichtverhältnisse für den Rest der Fahrt anhalten würden, aber dazu ist der Zug nicht schnell genug. (Und fährt auch noch in die falsche Richtung) Ich quetsche mich sieben Stunden später aus dem Zug (pünktlich!), denn in Nha Trang hat es sich noch nicht herumgesprochen, dass ein Zug leichter zu betreten ist, wenn man zuvor Passagiere aussteigen lässt. Vor dem Bahnhof bieten mir Motorradtaxis ihre Dienste an, aber mit Rucksack und schwerer Riesenreisetasche?? Ein andermal vielleicht. Ein Airporttaxi wendet und hält auf meine Gesten hin an. Der Fahrer versteht kein Wort von dem was ich sage. Nein, nicht Airport, ich bin ja gerade erst mit dem Zug angekommen, Sunny Hotel, you know it? Stirnrunzeln “Trann Fu” sage ich, sein Blick hellt sich auf, “Yes Yes” Ich bin skeptisch, aber meine Reisetasche wandert in den Kofferraum, ich steige ein. In Zeitlupentempo fährt das Taxi los.
Der Fahrer beginnt zu telefonieren während wir sogar von Radfahrern überholt werden. Ich höre seine vietnamesische Fragen nach Sunny Hotel. Ein zweites Telefonat und Sprechfunk – hat ihm jetzt jemand die Lage des Hotels nennen können?
Ich zücke mein GPS und überprüfe die Richtung. Die Lage des Hotels laut Google hatte ich markiert, wir bewegen uns dorthin. Das Gebäude, das Google als Hotel geXt hat, ist aber kein Sunny Hotel. Uhoh, jetzt wirds interessant – wie war doch gleich die Hausnummer 95/2? In einer Seitenstraße, könnte noch passen. Wir fahren weiter, und biegen wenig später rechts in eine Seitenstaße ein. Tatsächlich: eine Sunny Hotel Leuchtreklame.
Das Taxameter zeigt 39800 Dong Fahrpreis an, ich gebe 100.000 und bekomme 20.000 zurück. Nanu? Ich zeige aufs Geld und der Fahrer zückt noch ein paar Scheine, Ein- und Zweitausender, macht zusammen 25.000, nicht annähernd, was ich zu bekommen habe. Erneutes Kopfschütteln, er nimmt die kleinen Scheine zurück, gibt mir weitere 20.000. “No,no no!” Ich zeige auf fett rot leuchtende Fastvierzig. Etliches Scheinwuseln später habe ich Fünfzig Tausend. Erst nach dem energischen Hinweis, dass der Betrag immer noch nicht stimmt, überreicht er mir die noch fehlenden 10.000. Wer so dreist schummeln will bekommt garantiert kein Trinkgeld.
Im Hotel schaut man mich aus großen Augen an: Eine Reservierung? Wo denn mein Reservierungsbeleg wäre. Na, in meiner Email. Man könne sie nicht finden. Erst nachdem ich meinen Rechner hochgefahren habe und die Bestätigungsmail des Hotels vorzeigen kann, bricht eine Diskussion aus. “Give us 30 Minutes, you are lucky, we have room for you, someone checked out.” Wenn jemand in Asien sagt, you are lucky, dann heisst es Holzauge sei wachsam. Es dauert eine Dreiviertelstunde bis das Zimmer hergerichtet ist. An sich ist der Raum noch OK, auch wenn es ein Fenster nur ins Treppenhaus gibt, aber ein schlechtes Preis Leistungsverhältnis. Jaja den nächsten Morgen wechsele ich in eine höhere Kategorie – ob die der gebuchten entspricht, weiß man hier nie. Und laut der Dame der Rezeption wäre meine Reservierung für mich ja very cheap gewesen, da Einheimische für die Nacht mehr als das Doppelte gezahlt hätten.
Angesichts der SUVs, Lexus und anderen Luxuslimousinen, die vor der Tür stehen, bin ich fast versucht dies zu glauben. Neureiche Vietnamnesen scheinen es zu lieben hier in Nha Trang mit ihrem Wohlstand zu protzen. Dementsprechend ist das Angebot und gestalten sich die Preise.
Einige Luxushotels sind bereits mit riesigen Gebäuden aufmarschiert und Baustellenschilder kündigen weitere Ketten, wie Crown-Plaza und Marriot an. Sobald die letzten Garküchen und Straßenrandmülltrenner verschwunden sind, ließe sich der Ort problemlos ans Mittelmeer nach Spanien, Frankreich oder Italien, etc… verlegen – ein Ort austauschbarer Eß- und Spaßkultur mit Strand. Dank Tet momentan im Ausnamhezustand. Die Motorradtaxifahrer sind hier besonders nervig, weil sie ein Nein ignorieren. Ein angehängtes Thanks spare ich mir mittlerweile und schau überhaupt nicht mehr zur Quelle nicht enden wollender Litanei hin. Ich glaube die Vögel stammen aus Kambodscha, dort war es genauso. Nur das dort deutlich mehr Drogen angeboten wurden. Hier gibt es den ein oder anderen dezenten Hinweis auf Massage, mehr aber nicht.
Manchmal aber auch undezent: da hüpft vor mir eine bildhübsche Dame mit Helm vom Rücksitz eines Mopeds und spult ihren Text ab: “Hello Massage Boom Boom, One Hour, Ok?”
Die Krux eines männlichen Alleinreisenden. Why bother? Die Sonne scheint, die Welt mag hart und ungerecht sein, aber sie hat auch ihre angenehmen Seiten. Ich bin fern von daheim und doch ganz nah: Per Internetradio spielt mir der germanische Lieblingssender sein Nachmittagsprogramm in den Abend. Den verbringe ich im Hotelzimmer bei vietnamischem Rotwein, Gemüsecrackern und Lektüre eines Haruki Murakami Romanes. Zwischendurch das ein oder andere Telefonat…
Das alles ist möglich dank Laptop, Wifi und Plastikgeld. Hat irgendwie etwas Irreales.
Natürlich könnte ich mich in das Entertainmentgetümmel rund um die Uferpromenade stürzen, aber authentischer würde es dadurch auch nicht, lediglich weniger technisch.
Authentischer wurde es den Tag über, bei einem Fußm arsch gen Norden, an den Stadtrand und dann zurück zu den Chamtürmen. Major Tourist Attraction, der Anzahl der eintrudelnenden Busse zufolge. Immer wieder erstaunlich, warum fast niemand zu Fuß gehen mag. Da verpasst man einiges: Genau gegenüber, bei Hausnummer 110 der Straße 2/4 gibt es eine ganz hervorragende Pho Bo (Rindernudelsuppe) zum supergünstigen Preis.
Die Erinnerung daran, lässt mir auch Stunden später noch das Wasser im Munde zusammenlaufen – ein bisserl vom schwarzen Pfeffer hinzugegeben und mit den Essstäbchen nach den Nudeln und dem zarten Rindfleisch geangelt… Ja vielleicht ist es Zeit für ein kleines gastronisches Resumee der Stadt:
Vergesst das großspurig im Reiseführer erwähnte Louisane mit Mikrobrauerei – die sind dermaßen beschäftigt damit die Nobelherbergentouristen auszunehmen, dass Service und Atmosphäre nicht mehr im Mittelpunkt stehen. Selbst beim dreifachen Preis. Zitat:”We are busy, we dont serve food right now”
Auf der Thran Phu 96 gibt es dagegen ein “Restaurant” mit unspektulärem Aussehen – ein Wellblechdach und ein paar simple Klapptische drunter – dort gibt es unter anderem wunderbar gebratene Nudeln mit einer Menge zarter Hühnerbrust zum super Preis. Den Namen des Lokales konnte ich mir leider nicht merken, es könnte Bo Vien oder so ähnlich sein.
Auf der Rue Yersin, vom Strand aus vielleicht 300m vor dem Park, der bis an den Bahnhof reicht, gibt es in ähnlichem Ambiente einer Garage hervorragend geschmortes Gemüse, bestehend aus Blumenkohl und Wasserkresse oder Stengelspinat. Günstig und lecker jedenfalls.
Im Reiseführer erwähnt ist auch ein “Treffpunkt” mit germanischer Küche. Die Schilder mit Roggenbrot und Co mag noch einladend sein, der Klischeeschmierbauch, der Spelunkenmäßig desillusionierend mit seiner Flasch’ Bier daraus hervorstiert signalisiert mir jedoch eindeutig: so viel Heimweh kann ich gar nicht bekommen. Ich ging weiter..
Am Chamturm wird übrigens für das koreanische Cappuchinoeis (sehr lecker) knapp das Doppelte wie in Saigon verlangt, die Betreiberin klagt über die gierige Handelskette, allerdings ist auch die Cola Hundert Prozent teurer – warum das Gejammere? In einer Goldmine muss Gold abgebaut werden und nicht Gips. Aufbruch “You can walk six kilometers?” fragt mich die Dame von der Rezeption als Reaktion auf mein Tagesvorhaben. Yes I can. Ich brauche kein Taxi und will auch nicht bereits im Hotel ein Ticket kaufen. Ich laufe.
Die Gondeln der Seilbahn hinüber zur Insel Vinpearlland sind zu 95% unbesetzt. Vielleicht könnte das auch daran liegen, dass es nicht mehr, wie im Reiseführer angegeben, möglich ist, ein Ticket nur für die Gondelbahn zu kaufen. Nein, für den dreifachen Preis soll man ein Ticket inklusive Eintritt in den Vergnügungspark kaufen. Über Zwölf Euro für einmal Gondeln, dass ist nicht nur mir, sondern auch einigen Besuchern aus England zu viel. Zurück nach Nha Trang geht es mit dem Linienbus, für knapp 12Cent.
In der Stadt gilt es Mango-Lassi, Cafe-Latte, Früchteteller und am Spätnachmittag gebratenen Thunfisch mit Gemüse zu verzehren. Ein paar schwarze “Lappen” darin hätte ich im ersten Moment als Schwammpilze eingeordnet, Geschmack und Konsistenz passen aber nicht. Vielleicht handelt es sich um eine besondere Sorte Süßwassertang, denn salzig schmeckt es auch nicht. Genaugenommen schmeckt es nach nichts. Dafür jedoch der Rest.
Zum Abend hin kann ich im Hotel nochmal duschen, dann geht es mit dem Taxi zum Bahnhof. Dort holt mich die Realität eines Schwellenlandes ein: chaotische Verhältnisse. Da rollt ein Zug hupend zwischen die Menschen auf dem Bahnsteig ein, entleert dabei seine Toilette. Die Reste von Reisproviant werden durch die Zugfenster zwischen die Bahngleise entsorgt. Da nun zwei Züge nebeneinander im Bahnhof stehen, krabbeln Reisende unter dem Zug hindurch, um in die hinteren Wagen zu gelangen. Ein Kleinkind schafft unbeaufsichtig zwei der drei steilen Trittbretter aus dem Zug, dann knallt es auf den Bahnsteig in den Müll und die Fäkalien. Das hat wehgetan, doch es gibt keinen Mucks von sich. Zwei Bahnbeamte laufen herbei, schnappen sich das Kind und während sie laut zetern, stopfen sie das Kind zurück in den Waggon..
Wenig später rattert der Zug davon und mein SuperExpress Nummer Sechs schiebt sich in den Bahnhof. Die Schlafkabine teile ich mir mit drei Vietnamesen, mit Verspätung geht es nach Norden.