Anno 2008…
Eines Tages im letzten Jahr kam er mit der Hauspost: der Hochglanzprospekt über das Langzeitkonto – ein neues Programm zur Umwandlung von Entgelt, Mehrarbeit oder Urlaub zu bezahlter Freistellung.
Üblicherweise verhält sich der Nutzwert der Unternehmenspublikationen reziprok zur Druckqualität, kein gutes Zeichen. Nur aus einer Laune heraus, studierte ich dennoch den Inhalt. Das Programm bot die Chance, dem frühzeitigeren Rentenbeginn entgegenzusparen.
Oder alternativ, gleich dem feuchten Traum eines pubertierenden Unternehmers, möge der Arbeitnehmer nicht nur die Kosten seiner Weiterbildung übernehmen, sondern sich während dieser Zeit auch sein Gehalt selbst bezahlen.
Doch welche Art von Weiterbildung innerhalb des Programms möglich wäre, war in keinem der umfangreichen Paragraphen der Betriebsvereinbarung festgelegt.
Eine Hotline für die Beantwortung von Fragen zum LZK war eingerichtet worden. Dass die
Aussagen der (zumeist) netten Damen am Telefon jeglicher praktischen Relevanz entbehren, erfährt man erst später, wenn man sich tatsächlich darauf berufen möchte.
Eine Aussage lautete, es sei doch das eigene Geld, da müsse man doch selbst wissen, welche
Weiterbildung es wert sei, es dafür auszugeben. Kriterien, die zu erfüllen sind, gäbe es nicht…
Soso. Reisen bildet, schrieb immerhin schon Voltaire vor einem knappen Vierteljahrtausend an
Friedrich dem Großen – wenn man dem allzumächtigen Guggel Glauben schenken mag. Eine lange Reise in exotische Gefilde, bei der sich in aller Ruhe die fremde Kultur und Sprache kennenlernen lassen, das erschien mir eine nette Form der Weiterbildung. Dafür lohnte es sich zu sparen.
2009-08-01 Ehrenrunden im LZK Dschungel
„Rufen sie nicht mehr an! Wir melden uns, wenn wir etwas Neues erfahren!“
Mit dieser ruppigen Antwort sollte ich mich gefälligst zufrieden geben, als ich es wagte nach drei Wochen Bearbeitungszeit in der LZK-„Hot“line nach dem Zwischenstand zu fragen.
Woran es denn läge, dass die charmanten Damen nichts Neues erfahren hätten? Wen man denn eigentlich ansprechen könne, um die Stockung aufzulösen, damit diesiger anschließend den Damen Neues berichten könne?
„Das dürfen wir Ihnen nicht sagen!“
Aha. Es hatte wohl niemand damit gerechnet, dass Mitarbeiter, die das Angebot des Hochglanzprospektes wahrgenommen und in ihr Langzeitkonto eingespart hatten, auch etwas für ihr Geld haben wollten! Zumindestens nicht vor 2050…
Jetzt war Holland in Not und die LZK Sachbearbeitung abgetaucht.
Was tun? Dank langjähriger Bürokratieerfahrung weiß man, dass nur Schriftstücke weiterhelfen, und auch nur dann, wenn man sie beinahe in der Anzahl von Flugblättern über die gesamte Breite der Hierarchieebenen verteilt. Zu behaupten, dies hätte ich so nie gesagt ist dann nicht mehr möglich, das Verlegen des Schriftstücks wird umso schwerer, je allgegenwärtiger es wird.
Dies bedeutet nun keineswegs, dass solch eine Penetration durch Papier einfach sei, nein dazu bedarf es besonderer Penetranz.
2009-08-22 Nägel mit Köpfen
Im April war nach einem knappen Monat der verbalen Ignoranz mein schriftlicher Antrag geschrieben und in vierfacher Ausfertigung an Linienvorgesetzte, Geschäftsbereichskontaktpersonen sowie das Human Resources Department versendet. Ein formloses Schreiben, denn wie sollte es ein Formular geben, wo es noch keinen Prozess gab, und bis heute gibt. Eine telefonische Nachfrage, ob das Schreiben eingegangen sei, förderte eine Kontaktperson aus dem LZK-Dschungel hervor.
Keineswegs ein scheuer Eingeborener, der neugierig auf den Fremden Antragssteller gewesen wäre. Ein ausgefuchster Diplomat von Stammeskrieger wurde mir entgegengesandt, um den geheimen Stammesschatz der eingesammelten bunten LZK-Glasperlen vor der voreiligen Plünderung zu schützen.
Bis heute ist mir nicht klar, von welcher Art Zunge die vielen ungreifbaren Worte seiner Reden gesprochen wurden. Ich hoffe flink und nicht gespalten.
Nur durch eine ungeschickte E-Mailweiterleitung war es mir gegönnt, einen Teil des Informationsflusses zwischen den Hierarchiebenen nachvollziehen zu können.
Auch hier: freundliche Vertröstung, bzw. Weiterverweis: es müsse zuerst der LZK-Kontostand geprüft werden, um entscheiden zu können, ob die gewünschte Freistellung möglich sei. Prozess hin oder her: ich hätte erwartet, dass es den LZK-Verwaltern nicht schwerer fallen dürfte als mir, um auszurechnen, wieviel Geld zu einem Stichpunkt eingezahlt sein wird und wieviel Tagen Freistellung dies entspricht.
Auch dachte ich bisher, dass es sich bei der Mathematik um eine exakte Wissenschaft handelt, und sie bei der Anwendung der Grundrechenarten auf den Bereich der rationalen Zahlen wenig Raum für Interpretationen lässt.
Offensichtlich entstammt die LZK-Mathematik einem Paralleluniversum mit anderen Gesetzmäßigkeiten oder es gab die hartnäckige Weigerung, eine konkrete Zahl anzugeben. Ende Juni, nach zwei Monaten der Berechnung (womit?) lautet der Stand der Ermittlungen wie folgt:
LZKVerwalter klagt: Ich würde drängeln. Wieviel Tage? Rund fünf Monate.
Bei der HRD-Kontaktweiterleitung wurde daraus: Definitiv nicht genügend, maximal für ca. 4 Monate.
Aha.
Berechnungsgrundlage? Angenommene 21,75 Arbeitstage pro Monate.
Wow- bei zwei Nachkommastellen, müssten wir doch nun wohl sogar die genaue Uhrzeit der Freistellung ermitteln können, oder?? Es braucht FÜNF Tage und drei E-Mail-Runden um zu ermitteln, dass 121 Tage unstrittig sind und bei einer Fünf-Tage Woche 24 Arbeitswochen entsprechen. Somit sollte ein Datum am Ende der 24. Kalenderwoche mindestens abzudecken sein. Puh, schwere Geburt.
Zwischenstand: 24 Wochen könnten genommen werden.
Aber eine Aussage, ob dieser Zeitraum denn auch genommen werden darf?
Die Linienvorgesetzten haben bereits vor drei Monaten Ja gesagt und bestätigen dies nochmals schriftlich. LZKler kümmern sich laut HRD-Kontakt um die organisatorischen Dinge.
Wenn ich die Reise antreten möchte, sollte ich besser vorher buchen, oder?
Noch ist unklar, ob das Kind nun mit dem Bade ausgeschüttet werden soll… Drei Wochen später – der Versuch einer telefonischen Nachfrage scheitert auch mit Rufnummernunterdrückung so lange, bis ich den Telefonapparat der Kollegin benutze.
Ein Schlucken am anderen Ende der Leitung, danach altbekannte Ausflüchte. Eine Neuigkeit: Ein Hausjurist wäre mit der Ausarbeitung des Vertrages betraut, aber nein, ich könnte diesen nicht nach dem Stand der Dinge fragen, oder bei der Klärung eventuell offener Punkte helfen.
Günstige Flüge für Dezember gibt es mittlerweile nicht mehr und von Woche zu Woche werden die noch verfügbaren Plätze knapper – also ein neues Schreiben, mit der Ankündigung, die ganze Aktion wegen drohender Zeitknappheit zu verschieben, und falls eine Beantragung einer Langzeitbildung in endlicher Zeit nicht möglich sein sollte, die gesamte LZK-Teilnahme rückabwickeln zu müssen. Seitens des HRD-Kontaktes kommt dann endlich eine E-Mail Aussage, ich könnte den gewünschten Zeitraum wohl freinehmen. Einen Vertrag würde ich dann im September oder Oktober erhalten…
Ich beginne daraufhin Nägel mit Köpfen zu machen und Flüge zu buchen und mich bei Sprachschulen verbindlich anzumelden.
Auch wenn in einem weiteren klärenden? Telefonat auf einmal viel von Gefühlen die Rede ist. Nein nicht meinen Gefühlen, sondern dem Gefühl, der Interpretation, wann eine Reise nicht mehr Bildung sondern Urlaub ist und welche Maßnahmen Bildung und nicht Vergnügen darstellen.
Oh Gott, was mache ich dann, wenn mir Lernen Vergnügen bereitet? Nach diversen Namensdrehern bei der Flugticketausstellung (was eine andere Geschichte ist) bin ich nun im thailändischen Meditationskurs und diversen Sprachschulen in China angemeldet.
Die notwendigen Flugetappen sind gebucht und dazu eine Urlaubs! Rundreise in Myanmar zur Eingewöhnung.
Knapp die Hälfte der Kosten ist bereits angezahlt, obwohl die Ungewissheit besteht, ob im Vertrag der LZK-Bürokraten im nächsten Monat nicht etwas ganz Anderes steht…
Aber DAS würde dann noch eine ganz andere Geschichte!
2009-09-20 Kein(e)-Prozess-Neuigkeiten
Das schriftliche, weitere Dokument wird noch ein paar Monate dauern. Ich wäre immerhin Erster im Konzern – da müsse es doch verständlich
sein, dass der Vorgang etwas länger dauern könne. „Erster im Konzern“ –
dieses Prädikat in Zusammenhang zu Zeitlupentempo zu setzen, wirft die
Frage auf, was dann das Letzte ist!?
Eine „Vereinbarung zum Zwecke der Qualifizierung“ wird vorbereitet für Anfang Dezember. Mein Abflug ist Anfang Dezember. Was wohl zuerst kommt? Und was steht drin, in der Vereinbarung?
Hauptsache der Inhalt ist dann prozessgerecht, und wird nicht Grundlage eines Prozesses.
Spannung bis zum Ende.
Ommmm.
2009-12-08 – Ready to go – finally
Den Freistellungsvertrag konnte ich heute endlich unterzeichnen. Zeitraum und monatlicher Entnahmebetrag weichen zwar leicht von den erwartetenden Werten ab, jedoch kein Grund in letzter Minute noch herumzumäkeln. Ich kann es immer noch nicht fassen, wie unglaublich schnell das ganze Prozedere von statten ging…
Um sicherzugehen, dass der Vertrag in den verbliebenen zwei Arbeitstagen nicht ohne Unterschrift in der Hauspost zirkuliert, habe ich die nette Dame persönlich besucht und mein Exemplar sichergestellt. Was man hat, hat man.
Spannend bleibt die Frage, ob ein gültiger Vertrag ab Januar auch zu Überweisungen führt – wir werden sehen.. Mein Reisepass, mit den notwendigen Visa vollgeklebt, ist ebenfalls heute von der Visaagentur zurückgekommen. Auch wenn eine zu kurze Visadauer für China bedeutet, dass ich es vor Ort verlängern lassen muss. Wie mir die Sprachschulagentur jedoch mitteilte, wäre dies problemlos möglich und die Sprachschule wird mir dabei behilflich sein. Das Gepäck ist gepackt – hart am Limit der zulässigen Gepäckgrenze von 20kg – und doch viel zu wenig. Warum nur müssen Lernbücher und Reiseführer so schwer sein? Nachdem ich mehr als sieben Kilogramm an Fachliteratur gewogen hatte, habe ich ausgeräumt: das chinesische Bilderbuch und das Wörterbuch bleibt daheim, Kleidung nehme ich nur das Allernötigste für ein paar Tage mit, aber ich müsste mich in Bangkok oder Yangon ganz gut authentisch eindecken können.
Meine US-Devisen habe ich noch rechtzeitig vor der griechischen Tragödie des Euro gewechselt, so dass ich mich nicht mehr ärgern muss, nicht das Jahreshoch erwischt zu haben. Unsere Reisebegleitung für Myanmar wurde auch heute bekannt gegeben: laut Info ein Tausendjähriger Birmese mit Physik- und Deutschdiplom – das Foto lässt jedoch eher auf einen Tippfehler beim Geburtsdatum schließen… Insgesamt ein recht ereignisreicher Tag und auch die erste Rundmail an Freunde und Bekannte über meine drohende Abreise habe ich versandt, übermorgen folgt dann noch eine an die Kollegen:
Ich bin dann mal fort…bilden.